In Niedersachsen leben heute rund acht Millionen Menschen. Sie haben ihre Wurzeln überall in Europa und der Welt. Viele Familien sind seit Jahrhunderten hier ansässig, einige vielleicht schon seit dem frühen Mittelalter. Damals nannte man fast alle Bewohner des Landes »Saxones«. Sind heutige Niedersachsen auch Nachfahren dieser »alten Sachsen«? Woher kommt eigentlich der Name »Sachsen« und wer waren sie?
In Kooperation präsentieren das Braunschweigische Landesmuseum und das Landesmuseum Hannover 2019 in einer großen gemeinsamen Ausstellung eine neue Geschichte für Niedersachsen. Die Ausstellung spürt dem Mythos über die »alten Sachsen« nach.
Archäologen und Historiker haben die Geschichte des 1. bis 10. Jahrhunderts n. Chr. im heutigen Niedersachsen, aber auch in Westfalen grundlegend revidiert. Die bekannte Erzählung von der Eroberung dieser Gebiete durch den germanischen Stamm der »alten Sachsen«, aber auch die angeblich dort praktizierte frühe Demokratie wurden kritisch hinterfragt. Der Mythos entpuppte sich dabei nicht nur als romantisch verklärt, sondern auch als politisch gewollt – und wurde bereits im Frühen Mittelalter genutzt um Herrschaftsansprüche zu rechtfertigen. Durchleuchten Sie mit uns den Mythos Sachsen: Wir sortieren die Fakten und Meinungen!
Viele hochrangige Zeugnisse aus dem ganzen 1. Jahrtausend aus deutschen und internationalen Sammlungen werden hier erstmals zusammengeführt. Die Ausstellung präsentiert über 160 teils umfangreiche Ensembles archäologischer Funde und rund 60 prominente Einzelobjekte: edler Schmuck und Waffen aus Gräbern, einzigartige Handschriften und königliche Urkunden. Sie sind die letzten Zeitzeugen einer fernen Epoche. Ob wertvoller Schatzfund, prächtige Grabbeigabe oder banaler Alltagsgegenstand: Diese Zeitzeugen geben unvermutet konkrete Einblicke in das Leben einer archaischen Gesellschaft im Schnittpunkt früherer europäischer Kulturräume. Was sie erzählen, ist uns fremd und nah zugleich.
Alte Mythen und historische Erzählungen stiften Identität. Wer gehört dazu, wenn wir »Wir« sagen? Moderne wissenschaftliche Erkenntnisse bieten überraschende neue Perspektiven zur Entstehung von Identitäten und ihrem Wandel im 1. Jahrtausend n. Chr. Dem beliebten Mythos, die alten Sachsen seien die Vorfahren der Niedersachsen stellt die Ausstellung das moderne historische Wissen über die Entstehung der wirkmächtigen sächsischen Identität des frühen Mittelalters gegenüber. Die Geschichte von der römischen Niederlage im Teutoburger Wald bis zum Aufstieg sächsischer Adliger zu Königen des ostfränkischen-deutschen Reiches erscheint heute in einem neuen Licht. Entdecken Sie die Geschichte hinter dem Mythos!
Die Niedersächsische Landesausstellung erzählt die Geschichte zwischen Harz und Nordsee im 1. Jahrtausend neu: Es ist eine politische Geschichte, eine Erzählung von Gewinnern und Verlierern. Der Aufstieg und Fall des Römischen Reiches haben auch hier ihre Wirkung entfaltet. Die Angehörigen der Oberschicht sind hochmobil und sehr weit vernetzt. Sie werden selbst zu Impulsgebern im europäischen Geschehen. Zugleich ringen fremde Könige um die Vorherrschaft im Land, verschiedene Kulturen treffen aufeinander. Das Ringen um Macht, Einfluss und Wohlstand in den Regionen wird nicht mit den Mitteln der Diplomatie geführt: Gewalttätige Auseinandersetzungen, politische Ehen oder erkaufte Loyalitäten sind übliche Instrumente der Politik. Die Entscheidungen mächtiger Familien stellen die Weichen für die Entwicklung des ganzen Landes. »Game of Thrones« – vor unserer Haustür.
In römischer Zeit war der Name »Saxones« eine Bezeichnung für Piraten und Seeräuber. Erst ab dem 7. Jahrhundert n. Chr. werden im Reich der Franken auch die damaligen Bewohner von Niedersachsen und Westfalen »Saxones«, also »Sachsen« genannt. Ein Schimpfwort? Die »Sachsen« wollten die Herrschaft des Frankenkönigs nicht anerkennen. Erst Karl der Große konnte sie unterwerfen. Aber nur wenige Generationen später stieg mit Heinrich I. ein sächsischer Adliger auf den fränkischen Thron. Ihm folgte sein Sohn Kaiser Otto I., jetzt der mächtigste Mann Europas. Im Kloster Corvey schrieb der Mönch Widukind die Geschichte dieser stolzen Männer im 10. Jahrhundert auf – und begründet so den Mythos Sachsen. Seine Erzählung fesselt bis heute.
Faszinierende Porträts und Szenen in Überlebensgröße lassen Sie an wichtigen Momenten und Ereignissen im Leben von neun Menschen teilhaben, die damals in Niedersachsen und Westfalen lebten. Die farbenprächtigen Bilder stammen aus der Hand von Kelvin Wilson, einem der profiliertesten archäologischen Illustratoren in Europa. Seine Werke sind das Ergebnis einer intensiven künstlerischen Auseinandersetzung mit der archäologisch-historischen Forschung. Seine ausdrucksstarken Illustrationen begegnen ihrem Gegenstand mit Respekt: Im Blickkontakt mit den von ihm vielmehr porträtierten als rekonstruierten historischen Individuen erlischt die zeitliche Distanz zwischen ihnen und uns – imaginierte Vergangenheit wird für einen Moment einprägsam erlebte Gegenwart.