Globus

der herkunft auf der spur

das weltenmuseum vereint umfangreiche sammlungen, von der naturkunde bis zur ethnologie. für die provenienzforscher*innen am haus bedeutet das: alle hände voll zu tun! aber was macht die provenienzforschung genau?

Ziel der Provenienzforschung ist es, die Herkunft von Objekten aufzuschlüsseln, das gilt für Kunstwerke ebenso wie für Naturalien oder Ethnographica. Ausgehend vom jeweiligen Objekt können etwa Karteikarten, Inventarbucheinträge oder Archivalien Hinweise geben: Wie eine Sammlung ins Museum gelangte, woher sie stammt und wem sie ursprünglich gehörte. Ausgangspunkt ist immer die Frage, ob die Objekte heute rechtmäßig im Besitz des Museums sind, oder ob sie aus einem »Unrechtskontext« stammen. Besonders in den letzten Jahrzehnten hat sich die Provenienzforschung als ein wesentlicher Teil der Museums- und Sammlungsarbeit etabliert. Ein Meilenstein für diese Entwicklung war die Washingtoner Konferenz, welche 1998 erstmals festlegte, wie mit von den Nationalsozialisten entzogenen Kulturgütern zu verfahren sei. Daraufhin begannen viele Museen, die eigenen Bestände zu untersuchen und problematische Provenienzen offenzulegen.

Damit einher ging ein kritischer Blick auf die »Institution Museum« selbst: Ihre Wurzeln reichen zurück ins 19. Jahrhundert, in die Hochphase von Kolonialismus, »Sammelwut« und vermeintlicher europäischer Überlegenheit. Infolge dieser Leitgedanken gelangten zahlreiche außereuropäische Objekte, Tierpräparate sowie vereinzelt menschliche Gebeine in museale Sammlungen, so auch ins damalige Provinzialmuseum Hannover.

Nach 1933 und noch bis in die Nachkriegszeit eigneten sich die Verantwortlichen des Landesmuseums wie viele andere Museen Kulturgüter aus dem Besitz von Personen an, die während des Nationalsozialismus verfolgt wurden.

 

Dieses »heikle Erbe« sowohl der Kolonialzeit als auch des Nationalsozialismus aufzudecken, ist Ziel der Provenienzforschung, welche demzufolge viel Feingefühl erfordert. In diesem Sinne bemüht sich das Landesmuseum Hannover um einen transparenten Dialog mit Nachkommen verfolgter Personen und Vertreter*innen von Herkunftsgesellschaften, um gemeinsame Lösungen zu erarbeiten.

Ferner ist das Netzwerk Provenienzforschung am Landesmuseum Hannover angesiedelt, das rund 70 Mitglieder und Partner in Niedersachsen umfasst, niedersachsenweit im Bereich der Provenienzforschung beratend tätig ist und hier unter anderem Projekte initiiert und begleitet sowie Fort- und Weiterbildungen durchführt.

beispiele aus der sammlung

Fossil eines Fischsauriers, unterer Jura, 190 Mio Jahre, Fachbereich Naturkunde, Inventar-Nr. PAL 106234

Ein Fischsaurier aus dem Schweizer Handel – mehr war 2013, als die Dauerleihgabe für den Fachbereich Naturkunde angekauft werden sollte, nicht bekannt. Schlussendlich konnte die Provenienzforschung grünes Licht geben, da das Fossil legal gehandelt worden war. Zusätzlich lieferten die Recherchen entscheidende Hinweise zur Herkunft: Der Fischsaurier in den NaturWelten kommt aus Doniford Bay, Sommerset Coast, an der englischen Küste, was sich schließlich auch in der lateinischen Bezeichnung niedergeschlagen hat (Ichthyosaurus sommersetensis).

Thron eines Würdenträgers (Fon), Kamerun, 1931 von Ethnographica-Händler Julius Konietzko, Hamburg, erworben, Fachbereich Ethnologie, Inventar-Nr. 8416

Koloniales Echo – das Landesmuseum Hannover gehört zu den Initiatoren des Projekts »PAESE«, in dessen Rahmen die fünf größten ethnografischen Sammlungen in Niedersachsen Objekte aus kolonialen Kontexten erforscht haben: So handelt es sich bei dem abgebildeten Thron um eins von mehreren hundert Stücken, die während der deutschen Kolonialzeit in Kamerun (1884–1916) zusammengetragen wurden.

Alexandre Calame, »Abendliche Waldlandschaft«, um 1860, FB Landesgalerie, Inventar-Nr. PNM 706

»Provenienz offen (bedenklich) 1933-44« – Das Gemälde »Abendliche Waldlandschaft« kaufte ein Kunsthändler, der gleichzeitig den »Sonderauftrag Linz« belieferte, mitten im Zweiten Weltkrieg auf einer »Pariser Einkaufsreise«. Wem das Werk ursprünglich gehörte, ließ sich durch Provenienzrecherchen nicht ermitteln, ein sog. NS-verfolgungsbedingter Entzug im vom damaligen Deutschen Reich besetzten Frankreich ist jedoch mehr als wahrscheinlich. Nachfahren potenzieller Vorbesitzer:innen könnten über die Lost Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste auf das Gemälde von Alexandre Calame stoßen, wo auch das Landesmuseum Objekte mit bedenklicher oder ungeklärter Provenienz veröffentlicht.

 

Muscheln im Magazin des Fachbereichs Naturkunde

Muscheln und Provenienzforschung? Seit 1973 schützt das Washingtoner Artenschutzabkommen gefährdete Tiere und Pflanzen. Daher werden gerade neu angebotene naturkundliche Sammlungen darauf geprüft, ob Teile davon möglicherweise illegal ausgeführt oder gehandelt wurden.

 

Schuhe, Nordafrika, vor 1879, Fachbereich Ethnologie, Inventar-Nr. ET 1318/1319

Von Kassala nach Hannover: Das »Paar roter Lederschuhe« hat einen langen Weg hinter sich. 1877/78 tourte »Reiche’s Karawane aus Nubien« durch Deutschland – um Schaulustige in eine scheinbar authentische »nubische Welt« zu entführen, stellte der in Alfeld, Niedersachsen, ansässige Tierhändler Carl Reiche nicht nur Tiere, sondern auch Menschen aus. Anlässlich der Vorführungen trug eventuell ein*e Teilnehmer*in diese Schuhe, welche das Museum 1879 von Carl Reiche erworben hat und die mit der »Karawane« in Verbindung gebracht werden konnten. Zur Erforschung der Handelsnetzwerke der Alfelder Tierhändler Reiche und Ruhe hat das Netzwerk Provenienzforschung ein Projekt initiiert.

Johann Jakob Dorner, Weg am Waldesrand mit Wanderer, Aquarell, Fachbereich Landesgalerie, Inventar-Nr. PHz 1512

»Provenienz geklärt/unbedenklich«: Zwei Grafiken von Johann Jakob Dorner, erworben 1934 beim Auktionshaus C. G. Boerner, Leipzig, das nachweislich auch mit NS-Raubgut handelte. Ein Blick auf die Rückseite der Blätter offenbart den Stempel »P.A.«, der auf Paul Arndt (1865–1937) verweist, einen Sammler jüdischer Herkunft – was den Nationalsozialisten aber nicht bekannt war. Grund für den Verkauf war in diesem Fall nicht etwa Verfolgung, sondern finanzielle Einbußen Arndts während der Weltwirtschaftskrise 1929 – ein Beispiel dafür, dass tatsächlich jeder Einzelfall gesondert geprüft und bewertet werden muss.

Rückseite des Aquarells mit Sammlerstempels »P.A.«

gut zu wissen

lost art-datenbank

In der vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste betriebenen Datenbank finden sich Such- und Fundmeldungen sowie Informationen über bereits erfolgte Restitutionen zu Kulturgütern, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogen wurde.

deutsches zentrum kulturgutverluste

Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste ist seit 2015 der nationale Ansprechpartner für Provenienzforschung zu NS-Raubgut (seit 2019) sowie Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten und vergibt Fördermittel für Forschungsprojekte.

washington principles

Die „Washington Principles“ legten 1998 erstmals Grundsätze fest, wie mit von den Nationalsozialisten entzogenen Kulturgütern zu verfahren sei. Für die Bundesrepublik Deutschland wurden diese Grundsätze in der „Gemeinsamen Erklärung“ 1999 bekräftigt.

paese-projekt

Das niedersächsische Verbundprojekt PAESE wurde 2018-22 von der VolkswagenStiftung gefördert und hat die Herkunft ausgewählter Bestände in den fünf größten ethnografischen Sammlungen in Niedersachsen gemeinsam mit Vertreter:innen aus Herkunftsregionen erforscht.

paese-datenbank

Die PAESE-Datenbank diente der transparenten Dokumentation der im PAESE-Projekt erforschten Konvolute. Seit 2022 wird sie vom Netzwerk Provenienzforschung in Niedersachsen betrieben und steht allen Einrichtungen in Niedersachsen offen.

netzwerk provenienzforschung in niedersachsen

Das Netzwerk Provenienzforschung in Niedersachsen wurde 2015 vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur ins Leben gerufen und umfasst Museen und Sammlungen aller Trägerschaften sowie Archive, Bibliotheken und Verbände. Ergebnisse von in Niedersachsen durchgeführten Projekten werden seit 2020 in einer eigenen Reihe des Netzwerks open access veröffentlicht.

kontakt

Dr. Claudia Andratschke
Provenienzforscherin
Leiterin Sammlungen + Forschung
Koordinatorin Netzwerk Provenienzforschung in Niedersachsen
claudia.andratschke@landesmuseum-hannover.de

Louisa Marie Hartmann
Wissenschaftliche Volontärin Provenienzforschung
louisa.hartmann@landesmuseum-hannover.de

Maik Jachens
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Provenienzforschung
maik.jachens@landesmuseum-hannover.de

Annekathrin Krieger
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Netzwerk
Provenienzforschung in Niedersachsen
annekathrin.krieger@landesmuseum-hannover.de